Die Entwicklung der neuen Kapsel im Studio-Gesangsmikrofon V4 U
Wie stellen wir uns bei SCHOEPS ein ideales Studio-Gesangsmikrofon vor? Für uns muss es sowohl hervorragende technische Eigenschaften haben als auch ein bestimmtes Klangideal erfüllen. Darauf haben wir bei der Entwicklung der Nierenkapsel im V4 U besonders geachtet.
Formulieren des klanglichen Ideals
Wie diese Entwicklungsziele zu erreichen sind, stand am Anfang nicht fest, denn sowohl die Definition der anvisierten Eigenschaften als auch der gewünschte Klangcharakter mussten erst gefunden werden. Der Klangcharakter eines Studio-Gesangsmikrofons kann dabei durchaus anders sein als der eines typischen Kleinmembranmikrofons.
Nach vielen Hörtests mit verschiedenen Mikrofonen und Schallquellen kristallisierte sich am Ende heraus, welche Klangideale bei der Studioaufnahme besonders gefragt sind. Wir untersuchten unter anderem nahbesprochenen Rock-Gesang, verschiedene akustische Instrumente wie Gitarre und Viola sowie Sprache. Ein wichtiges Instrument bei der Suche nach dem idealen Bündelungsmaß war auch die SCHOEPS-Technologie Polarflex, mit der sich ein virtuelles Mikrofon mit einem beliebigem, unregelmäßigen Polardiagramm erstellen lässt.
Zu den gewünschten perzeptiven Eigenschaften zählt ganz klar die Transparenz eines Mikrofons, denn: Mit wenigen zufälligen Ausnahmen wird ein verfälschter Klang meist als negativ empfunden. Darüber hinaus lässt sich als ganz wesentlicher Punkt feststellen, dass man als Tonmeister anders mit der klanglichen Abbildung des Studioraums umgehen kann. Der Klang der Studioakustik ist bei einer typischen Studioaufnahme meist nicht im selben Maße Teil der künstlerischen Darbietung wie z.B. bei der Aufnahme eines klassischen Ensembles im Konzertsaal. Bei jener ist nämlich die Interpretation des Künstlers abhängig von der Akustik und wird ungenügend erfasst, wenn man den Konzertsaal nicht adäquat abbildet. Im Studio ist dies anders, hier wird oft mit Kopfhörern gearbeitet, und meist werden andere Räume über das Ergebnis gestülpt. Die Folge ist, dass der Raum selber nicht adäquat abgebildet, sondern lediglich angenehm klingen muss.
Übertragung des klanglichen Ideals in technische Parameter
Für die technischen Eigenschaften eines Mikrofons bedeuten diese Klangideale: Das Instrument oder die Stimme des Künstlers muss absolut transparent übertragen werden. Dies bedeutet unter anderem, dass unmotivierte Unregelmäßigkeiten in Frequenzgang und Polardiagramm schädlich sind.
Der 0°-Frequenzgang muss zwischen 50 Hz und 20 kHz gerade verlaufen. Eine moderate Höhenanhebung im oberen Bereich ist zur Kompensation einer Diffusfeldabsenkung nötig. Der Raum - in den technischen Daten des Mikrofons repräsentiert durch die Diffusfeldkurve - kann und soll angenehm klingen. Als angenehm wird meist empfunden, wenn er nicht auffällig hervortritt und wenn er im hochfrequenten Bereich gedämpft wird. Für den Diffusfeld-Frequenzgang bedeutet dies: so gerade wie möglich, nie überbetont in einzelnen Frequenzbereichen sowie zu hohen Frequenzen abfallend.
Neben der 0°-Kurve und den Diffusfeldeigenschaften ist es für den Mikrofonklang entscheidend, wie Schall übertragen wird, der von der Seite auf das Mikrofon eintrifft, also „Off-Axis“. Unregelmäßige Off-Axis-Kurven erkennt man daran, dass die Polardiagramme für jeden Frequenzbereich anders aussehen. Dies ist nicht ideal und lässt seitlich einfallende Instrumente oder Reflexionen unnatürlich oder unangenehm klingen. Der Anspruch an eine Kapsel-Entwicklung ist: Keine Off-Axis-Kurve darf unregelmäßig verlaufen - die Polardiagramme müssen übereinander liegen.
Realisierung der technischen Vorgaben
Die genannten technischen Ziele sind hoch gesteckt, denn in der Praxis müssen oft Kompromisse eingegangen werden. Dennoch ist es im V4 U mit einem neuen Kapselkonzept gelungen, diese Forderungen zu erfüllen. Grundgedanke war dabei, dass auf jeden Fall nur eine Kleinmembrankapsel die Ansprüche an die Homogenität der Kurven und die Transparenz des Klangs erfüllen kann.
Die besonderen Eigenschaften im Diffusfeld sprechen allerdings eher für eine Großmembrankapsel, da die große Membranfläche hier für eine früher einsetzende Bündelung aufgrund von Druckstau sorgt. Letztendlich erreichte man beides, indem eine Ringscheibe verwendet wurde, die den akustisch relevanten Durchmesser der Kapsel auf 33 mm vergrößert. Die Verwendung eines solchen akustischen Filterelements kennt man schon von Druckempfängern, bei denen mit sogenannten Kugelaufsätzen eine früher einsetzende Bündelung bei mittleren Frequenzen erreicht wird.
Eigenschaften des V4 U
Die folgenden Diagramme belegen die Eigenschaften der Kapsel im V4 U, die den oben genannten Forderungen voll entsprechen.
Der 0°-Frequenzgang verläuft gerade bis 20 kHz und lässt eine moderate Höhenanhebung von 2 dB zwischen 4 und 15 kHz zu. Der Diffusfeld-Frequenzgang verläuft ideal parallel zur 0°-Kurve. Das Bündelungsmaß ist an keinem Punkt kleiner als ca. 5 dB, in andere Worten: Das Mikrofon ist an keinem Punkt weniger bündelnd als eine Niere.
Die Bündelung zu hohen Frequenzen setzt ab 7 kHz ein. Das Polardiagramm bestätigt diese Eigenschaften: bis 6 kHz sind praktisch alle Polardiagramme kongruent. Dann setzt die gewünschte Bündelung in Richtung Superniere ein. Der Pegel der Rückkeule ist höchstens -14 dB. Die Polardiagramme verlaufen allesamt gleichförmig und ohne Unregelmäßigkeiten.