Professor Hyunkook Lee von der Universität Huddersfield und der Grammy-prämierte Produzent und Mixer Andrew Scheps trafen sich auf der AES Convention 2024 in New York City am Stand von SCHOEPS zu einem spannenden Gespräch. Gemeinsam diskutierten sie die künstlerischen und technischen Grundlagen immersiver Audioaufnahmen, verschiedene Mikrofonierungstechniken für Spatial Audio und die dafür entscheidenden Qualitätsmerkmale hochwertiger Mikrofone. Seht Euch unten das komplette Gespräch an und erfahrt, wie technische Präzision und kreativer Ausdruck sich zu einem eindrucksvollen Hörerlebnis verbinden.

Wenn Technik auf Kreativität trifft

Die erste Begegnung zwischen Hyunkook Lee und Andrew Scheps auf der AES International Conference on Spatial and Immersive Audio legte den Grundstein für eine produktive Zusammenarbeit. Besonders beeindruckte Andrew eine von Hyunkook realisierte Orgelaufnahme: „Wir hörten dieselbe Aufnahme – ganz ohne Bearbeitung, direkt von Mikrofon zu Lautsprecher – und es war schlicht atemberaubend. Der Bass war einfach überwältigend.“

Was ihn faszinierte, war nicht nur die Wiedergabe, sondern die Verbesserung des Live-Erlebnisses. „Ich sah, wie die Füße die Pedale berührten, aber auf der Aufnahme spürte ich die Kraft und Emotionalität dieser tiefen Töne sogar stärker als im Raum selbst.“

Die Grundlagen von immersiven Aufnahmen

Im Zentrum der Diskussion steht die Herausforderung, natürlichen Klang dreidimensional einzufangen. Hyunkook entwickelt am Applied Psychoacoustics Lab der Universität Huddersfield Mikrofontechniken, die genau das ermöglichen. Eine zentrale Fragestellung ist dabei: Wie sollten die Mikrofone für die Höhenkanäle in einem immersiven Setting positioniert werden?

„Klassische Methoden setzen auf Abstände zwischen allen Mikrofonen“, so Hyunkook. „Aber ich hatte diese Idee: Unsere Ohren haben einen horizontalen Abstand, aber alles, was von oben kommt, wird von einem Punkt aus wahrgenommen. Brauchen wir also wirklich einen (vertikalen) Abstand?“

 

Drei immersive Mikrofonierungskonzepte

Hyunkook unterscheidet drei grundlegende Anordnungen:

  1. Horizontal und vertikal mit Abstand – klassisch, mit Distanz zwischen allen Mikrofonen
  2. Horizontal mit Abstand, vertikal koinzident - die horizontalen Abstände werden beibehalten, aber in der vertikalen Dimension sind die Mikrofonpaare koinzident
  3. Horizontal und vertikal koinzident – Vollständig koinzidente Ansätze wie Ambisonics, die zwar einige Vorteile haben, aber von der Positionierung im Sweet Spot beim Abhören abhängen

Das Kernkonzept in Hyunkooks bevorzugter Technik ist eine Anordnung mit horizontalen Abständen und vertikal koinzident positionierten Mikrofonen. Dieses Prinzip garantiert eine realistische Raumabbildung – mit einfacher Abwärtskompatibilität zu 5.1 oder Stereo.

 

Die Wissenschaft hinter der Technik

Hyunkooks Technik „PCMA-3D“ (Perspective Coincident Microphone Array) entstand 2013 aus Experimenten mit Mikrofonabständen. Die Erkenntnis: Vertikale Distanzen von 0 bis 1,5 Metern hatten kaum Einfluss auf die Raumabbildung. Das eröffnete neue Möglichkeiten für kompakte, aber leistungsfähige Arrays.

Die Technik wurde ursprünglich als 5.1-Array konzipiert, bei dem ein Mikrofon [Sub-Array] nach vorne und die übrigen nach hinten ausgerichtet sind. So können Toningenieure die Signale flexibel mischen und dabei virtuelle Zoom-In- und Zoom-Out-Effekte erzeugen: Mehr Raumklang bei rückwärtiger Ausrichtung, mehr Direktschall bei frontaler Ausrichtung. Eine vergleichbare Herangehensweise findet sich auch in der von Theile und Wittek entwickelten "OCT-3D"-Technik.

Nach seinen Experimenten im Jahr 2013 erkannte Hyunkook, dass er die Mikrofone stärker nach oben ausrichten konnte, um Hauptklang und Höheneindruck an einem einzigen Punkt aufzunehmen – ganz so, wie unsere Ohren hören.

 

PCMA-3D: Varianten und Konfigurationen

PCMA-3D ist eine flexible Mikroftontechnik, bei der horizontal Abstände zwischen richtenden Mikrofonen und vertikal koinzidente Arrays verwendet werden (das ORTF-3D-Verfahren folgt demselben Prinzip).

PCMA-3D basiert auf:

  • LCR-Mikrofone (Links-Center-Rechts) typischerweise im Abstand von einem Meter. 
  • Mikrofone (L, R) in einem Winkel von etwa 45 Grad
  • Mittenmikrofon (C) etwa 25 cm vom Basispunkt nach vorne versetzt
  • Hintere Mikrofone etwa einen Meter vom Basispunkt entfernt
  • Seitenkanäle 7.1.4 mit seitlich gerichteten Supernieren

 

Bei der PCMA-3D Version 1 verwenden die Höhenkanäle eine koinzidente Technik mit Supernieren-Mikrofonen (typischerweise Schoeps CCM 41 oder MK 41), die direkt zur Decke zeigen und koinzident mit den Mikrofonen in der Horizontalen angeordnet sind. Der Vorteil daran ist, dass es sich super einfach auf 5.1 oder Stereo heruntermischen lässt. „Das Signal erfährt keine klangliche Verfärbung, außer dem hinzugefügten Nachhall", sagt Hyunkook.

 

 

Für die PCMA-3D Version 2, die Hyunkook für die Orgelaufnahmen in Huddersfield verwendete, führt er einen gewissen Abstand zwischen der Hauptebene und der Höhenebene ein. "Bei der Orgelaufnahme habe ich mit etwas Abstand gearbeitet, weil es bei der Orgel als so großem Instrument um harmonische Rekonstruktion geht", erklärt Hyunkook. Dieser Abstand erzeugt eine andere Klangfarbe, denn bei einem so großen Instrument "geht es nicht mehr um Räumlichkeit, weil man den Direktschall der Orgel aufnimmt."

Bei dieser Variante kommen breite Nieren (z. B. Schoeps MK 21) oder diffusfeldentzerrte Kugeln (z. B. Schoeps MK 2 H) zum Einsatz. 

 

 

Die Wahl der Mikrofonkapseln variiert auch je nach Ausgangsmaterial. Für Orchesteraufnahmen empfiehlt Hyunkook Kugelkapseln wie die Schoeps- Kapsel MK 2H mit Diffusfeldentzerrung, um mehr tiefe Frequenzen einzufangen. Allerdings betont er, dass "für die Höhenebene die Superniere einfach perfekt funktioniert", selbst bei Kugelmikrofonen in der Hauptebene. 

Warum SCHOEPS Mikrofone?

Sowohl Hyunkook als auch Andrew erklären nachdrücklich, warum Schoeps-Mikrofone für ihre immersiven Aufnahmesetups unverzichtbar sind. 

"Das wichtigste Argument für Schoeps-Mikrofone ist die Klangfarbe", betont Hyunkook. "Der Klangs ist weder übermäßig basslastig noch dumpf. Es ist einfach perfekt. Man bekommt einen musikalischen Klang, und ich muss nichts mit einem EQ bearbeiten. Normalerweise verwende ich die Mikrofonsignale sogar ohne einen Hochpassfilter. Es ist ein sehr reiner, neutraler Klang, den ich sehr schätze." 

Andrew unterstreicht die klangliche Konsistenz über die gesamte Schoeps-Produktpalette hinweg: "Selbst wenn man die Richtcharakteristik ändert, bleibt die Klangfarbe der Kapseln gleich. Das ist großartig, denn so bekommt man nichts, was man durch einen EQ kompensieren müsste. Sobald man anfangen würde, daran herumzuspielen, ginge diese Konsistenz verloren, und viele Vorteile der Mikrofontechnik selbst wären dahin." 

Der natürliche Klang von Schoeps-Mikrofonen ist zu einem Eckpfeiler von Andrews Arbeitsweise geworden. "Ich musste bisher noch nichts EQ-en, was ich mit diesen Mikrofonen aufgenommen habe", erklärt er. "Es klingt einfach, als wäre man im Raum." Er geht auf ein häufiges Missverständnis über neutral klingende Mikrofone ein: "Man könnte sagen: 'Oh, vielleicht ist es ein langweiliger Klang.' Das ist es nicht. Es ist tatsächlich ein sehr faszinierender Klang, der sich durch eine tolle Präsenz auszeichnet." 

Andrew vergleicht dies mit legendären, aber weniger natürlichen Anordnungen: "Wenn man einen Decca-Tree mit alten Röhrenmikrofonen, wie M49s und M50s, verwendet, ist es ein wunderschöner Klang, den wir alle sehr gut kennen, aber es ist ein sehr, sehr verfärbter Klang. Die Leute denken, es sei sehr natürlich. Es klingt überhaupt nicht wie das, was man im Raum hört." Mit Schoeps, sagt er, "habe ich das Gefühl, dass man an einem Punkt anfängt, der leicht zu erreichen ist und von dem aus man alles machen könnte, aber – bisher musste ich tatsächlich nie etwas machen. Es passt perfekt zu jedem Track, bei dem ich es verwendet hatte." 

Praktische Vorteile: Mobilität und Flexibilität 

Neben der Klangqualität heben beide Ingenieure die praktischen Vorteile der Schoeps Colette-Mikrofonserie für immersive Anordnungen und Aufnahmen für Dolby Atmos hervor: 

"Von der praktischen Seite her: die Mikrofone der Colette-Serie sind einfach winzig", bemerkt Andrew. "Ich habe eine Tasche, die im Grunde wie ein Mäppchen aussieht, mit allen 11 Mikrofonen darin. Es ist also sehr mobil, was für mich enorm wichtig ist. Ich muss in der Lage sein, schnell aufzubauen, und an Orten zu arbeiten, die mit größeren Mikrofonen problematisch wären." 

Hyunkook fügt hinzu: " Als Schoeps das CMC 1 herausgebracht hat, war das wirklich ein Lebensretter. Ich mache viele Aufnahmen an Orten, wo man manchmal das Mikrofon von einem Balkon oder der Decke hängen muss. Das Mikrofon sollte klein genug sein, sonst hassen es die Videoleute." 

Der modulare Ansatz von Schoeps-Mikrofonen bietet außergewöhnliche Flexibilität. "Wenn man einen Satz MK-Kapseln und CMC-Mikrofonverstärker hat, kann man einfach die Kapseln austauschen", erklärt Hyunkook. "Ich kann die Kombinationen variieren – CMC 1 mit der MK 4 verwenden oder CMC 6 mit anderen Kapseln. Es ist super flexibel." 

Kreative Anwendungen jenseits klassischer Aufnahme

Während Mikrofon-Arrays traditionell vor allem im klassischen und orchestralen Bereich eingesetzt wurden, sind sowohl Hyunkook als auch Andrew begeistert davon, diese Ansätze nun auch auf Pop- und Rockproduktionen auszuweiten.

„Diese Streichquartett-Aufnahmen, die ich gemacht habe, waren für eine sehr traditionelle Band“, erklärt Andrew und bezieht sich dabei auf seine Arbeit mit der atmosphärischen Indie-Rock-Band Low Roar und deren Album „House in the Woods“ (die Produktion wurde mittlerweile veröffentlicht). Der Track „None of Your Business“ zeigt eindrucksvoll, wie nahtlos sich die immersive Streichquartettaufnahme in die konventionellen Elemente einfügt. „An der Produktion selbst ist nichts Immersives – außer der Aufnahme des Streichquartetts – und es passt trotzdem perfekt zum Rest der Aufnahme [die in 2.0 gemacht wurde]. Es gab keinerlei Kompromisse oder Ähnliches.“

Hyunkook ergänzt: „Jetzt, wo auch im Pop- und Rockbereich zunehmend Interesse an immersiven Aufnahmen besteht, sehe ich viele neue Möglichkeiten. Für Drums-Aufnahmen könnten sich andere Konfigurationen anbieten. Das Konzept eines vertikal-koinzidenten Arrays lässt sich auch für Overhead-Mikrofonierung einsetzen – aber mit Abständen. So wie man es klassisch kennt: zwei Nieren, die nach unten auf die Becken gerichtet sind – und nun fügt man einfach zwei weitere Mikrofone hinzu, die nach oben zeigen.“

Unerwartete kreative Möglichkeiten

Die Flexibilität dieser Technik hat für Andrew überraschende kreative Optionen eröffnet: "Ich habe immer die vorderen Mikrofone für die Stereoversion des Songs und die restlichen Mikrofone für die immersive Version verwendet. Ich stellte dann aber fest, dass die Höhenmikrofone selbst einen erstaunlichen, himmlischen Klang für Teile des Arrangements mit vielen Harmonics erzeugen." 

Diese Entdeckung bedeutete, dass Andrew selbst bei Stereomischungen kreative Entscheidungen treffen konnte: "Ich konnte tatsächlich in der Stereomischung entscheiden, wie räumlich der Klang der Streicher sein sollte, einfach durch das Mischen und Kombinieren von Mikrofonsignalen. Das war wirklich außergewöhnlich und es wäre mir vorher nie in den Sinn gekommen." 

Blick in die Zukunft

Hyunkook und Andrew zeigen beide enorme Begeisterung für die Fortsetzung ihrer Arbeit mit immersiven Aufnahmetechniken und Schoeps-Mikrofonen. 

"Ich möchte einfach mehr aufnehmen", erklärt Andrew begeistert. "Ich bin schon lange dabei und manches ist nicht mehr so neu oder aufregend wie früher. Aber ich kann es kaum erwarten, mit dieser Technik mehr aufzunehmen. Es ist wirklich faszinierend." 

Hyunkook schließt ab: "Ich schätze es sehr, wenn Wissenschaftler und Kreative zusammenarbeiten. So können wir tatsächlich etwas Neues schaffen und Grenzen verschieben. Wissenschaftler müssen verstehen, was Kreative brauchen, und Künstler können von wissenschaftlicher Forschung profitieren. Gemeinsam können wir Neues erschaffen." 

Erfahrt mehr über die Forschung von Professor Hyunkook Lee am Applied Psychoacoustics Lab der Universität von Huddersfield.

Andrew Scheps ist ein Grammy-preisgekrönter Produzent, Mixer und Toningenieur, dessen Referenzen Künstler wie Adele, Red Hot Chili Peppers und Metallica umfassen.