Mikrofonpositionen der unteren Ebene der beim Neujahrskonzert (2024)
Mikrofonierung für das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker in den Formaten 2.0 Stereo, 5.0 Surround sowie 3D-Audio
Autor: Florian Camerer, Senior Sound Engineer, ORF
Das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins ist eines der prestige-trächtigsten und meistgesehenen Klassikkonzerte der Welt. Jedes Jahr verfolgen viele Millionen Fernsehzuschauer dieses Event, das der ORF und viele internationale Radio- und Fernsehstationen live übertragen - 2024 in 100 Ländern! Außerdem gehören die kurz danach erscheinenden Tonträger CD, DVD und Blu-ray jedes Jahr zu den erfolgreichsten Titeln in ihrer Sparte.
Das Neujahrskonzert stellt aufgrund seiner außerordentlichen Reichweite quasi eine weltweite Referenz auch für die Tontechnik und insbesondere für die Mikrofonierungstechnik dar. Auswahl und Aufstellung der Mikrofone wird seit Jahrzehnten von Ingenieuren des ORF-Radio zusammen mit dem ORF-Fernsehen verantwortet. Die Toningenieure erreichen immer wieder ein Höchstmaß an Klangqualität, und achten gleichzeitig darauf, dass die Mikrofone durch die vielen Kameras gar nicht oder zumindest in eleganter Optik eingefangen werden.
Seit langer Zeit wird ein Decca-Tree aus drei Schoeps MK 2S Kapseln mit CMC-Verstärkern als Hauptmikrofon verwendet, das mit vielen Stützmikrofonen gemischt wird. Die Stützmikrofone sind auch deshalb wichtig, weil die Fernsehregie die Instrumente gerne im extremen Close-up filmt, und in einem solchen Fall verleiht ein Stützmikrofon die nötige Textur. Es werden verschiedenen Typen von Stützmikrofonen verwendet, viele sind Schoeps Colette-Kapseln mit Colette-Stativen, da diese optimal für Klangfarbe und optische Unauffälligkeit sind.
Das Neujahrskonzert wird als Flaggschiff der ORF-Produktionen in allen jeweils aktuellen Tonformaten produziert. So wird neben der Hauptmischung in 2.0 Stereo seit 2003 in 5.0 Surround und seit 2014 im 3D-Audio-Format 5.0.4 (Auro-3D bzw. Dolby Atmos) gemischt bzw. übertragen. Der Live-Mix (von ORF-Kollege Martin Gamperl aus der Ü-Wagen-Abteilung) konzentriert sich hauptsächlich auf das 2.0-Stereosignal, da es das ist, was die Mehrheit der Verbraucher hört.
Der Decca-Tree wird für alle drei Tonformate genutzt. Der Center wird bei der 2.0-Mischung in die Mitte gepannt. Ein modifizierter Hamasaki-Square aus vorne zwei Nieren Schoeps MK 4 (die schräg nach hinten/unten auf das Publikum im Parkett gerichtet sind) und zwei Fig-8 Schoeps MK 8 ca. 3 m weiter hinten dient zum Erfassen der Raum- und Publikumsatmo und des Applauses. Die Publikumsatmo ist bei diesem Konzert besonders entscheidend, denn bei den in jedem Jahr gleichen, traditionellen Zugaben spielt das Publikum eine tragende Rolle: die Zuschauer unterbrechen den Beginn von "An der schönen blauen Donau" (das Pianissimo-Tremolo der Violinen) mit Applaus, dann wendet sich der Dirigent mit seinen Neujahrswünschen an die Welt. Beim darauffolgenden Stück "Radetzky-Marsch" wird rhythmisch mitgeklatscht, wobei seit vielen Jahren (seit Nikolaus Harnoncourts erstem Neujahrskonzert 2001) der Dirigent das Publikum mitdirigiert.
Alle Mikrofone für die Höhenkanäle für die 3D-Audio-Mischung sind nach oben gerichtete Supernieren Schoeps MK 41 oder Nieren Schoeps MK 4. Die Positionen der Mikrofone für die Höhenkanäle haben sich im Laufe der Jahre weiterentwickelt. Am Anfang waren die vorderen Höhenmikrofone direkt über den Holzbläsern positioniert, auch weil beim ersten Konzert, das in 3D-Audio aufgezeichnet wurde, die Wiener Sängerknaben auf der Orgelempore sangen, was zu dieser engeren Platzierung führte. Wenn kein Chor vorhanden ist (der übliche Fall), werden die vorderen Höhenmikrofone über dem Decca-Tree positioniert. Der Abstand zum Decca-Tree ist nicht groß (ca. 1 m), da bekanntermaßen die vertikale Dekorrelation nicht so entscheidend ist wie die horizontale. Und dann ist da noch der praktische Aspekt – die meisten Mikrofone werden mit Stahldrähten aufgehängt, was die Wahl der Positionierung ein wenig einschränkt.
Die hinteren Höhen-Mikrofone befinden sich ungefähr in der Mitte zwischen den vier Mikrofonen des Hamasaki-Squares.
Die Höhenkanäle werden im 2.0- und 5.0-Mix nicht verwendet, sondern (wie auch alle anderen Signale) einzeln aufgezeichnet. Sie kommen dann in der Post-Production (die vom Autor seit 25 Jahren betreut wird) bei der Erstellung des 9-Kanal-Masters zum Einsatz.
Mikrofonpositionen der Höhen-Ebene beim Neujahrskonzert (2024)
Die Veröffentlichung der Tonträger muss sehr schnell nach Ende des Konzerts geschehen, weil die Vermarktung sofort beginnen soll. Der erste fertige Master ist immer die CD-Version. Dies geschieht komplett separat, seit vielen Jahren durch die Firma Teldex. Die Ingenieure fangen direkt nach dem letzten Takt des Konzerts an, das Konzert zu bearbeiten. Am selben Tag abends oder am nächsten Tag in der Früh geschieht bereits die Qualitätskontrolle mit dem Dirigenten - ziemlich erstaunlich! Video- und Tonschnitt für DVD und Blu-ray werden beim ORF zwischen dem 2. und 5. Januar erstellt, dann werden verschiedene Fassungen generiert, wie z. B. für eine Wiederholung des Konzerts im ORF am 6. Januar, für die Produktionsfirma der Wiener Philharmoniker, für das "Haus der Musik" in Wien etc. Wenn die 5-Kanal-Dateien fertig sind, wird das AURO-3D-Mastering begonnen (meist am 4. Januar abends). Das EQing der Höhenkanäle ist dabei wichtig, z. B. eine kleine Anhebung der Bässe und Absenkung der Mitten, um einige nasale Frequenzen loszuwerden. Das geschieht in einem mit einer 9-Kanal-Abhöre versehenen Audio-Post-Pro-Studio des ORF. Der Mix enthält kein LFE-Signal, da es während des Neujahrskonzerts noch nie einen Vulkanausbruch gegeben hat, sodass es nicht notwendig ist, den zusätzlichen Headroom des LFE zu nutzen.
Vielen Dank an Florian Camerer für diesen Artikel.